„Der gestirnte Himmel
über mir“ und damit das Wunder des Seins ist es, das selbst einen nüchternen
Geist wie Immanuel Kant zutiefst bewegt und den Menschen seit jeher auf das
Numinose, das Heilige, auf Gott als Ursprung alles Seienden verwiesen hat. Es
ist eine starke und nachhaltige Intuition der Menschen aller Zeiten und Weltteile.
Und nicht nur dies, es ist auch mit den Mitteln der Vernunft gut begründbar,
dass ein erstes absolutes und personales Prinzip allem Sein zugrunde liegen
muss. Die philosophischen Argumente dafür sind vielfältig und plausibel. Der neue
Atheismus ist daher bemüht, dieses starke Argument für den Theismus zu
entkräften, indem er eine naturalistische Antwort versucht auf die jedem
Denkenden sich aufdrängende Frage „Pourquoi il y a plus tôt quelque chose que
rien?“ -Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? – in der Formulierung
von Leibniz. Der Physiker Lawrence Krauss hat in seinem Buch „Ein Universum aus
Nichts – und warum trotzdem etwas ist“ versucht, diese eminent philosophische
Frage mit den Methoden seiner Fachwissenschaft zu beantworten.
Dies sei zwar eine
Frage, die er „lieber als erledigt ansehen würde“, müsse jedoch anerkennen,
dass sie sich weiterhin stellt. Krauss will daher mit den Mitteln der Physik zeigen,
dass ein „Universum aus Nichts“ spontan entstehen kann. Dabei sagt uns sogar
die Alltagserfahrung „Von nichts kommt nichts“, doch Krauss meint, diese
Aufgabe lösen zu können. Aber schauen wir näher zu und sehen uns den Text und
seinen Argumentationsgang vorurteilslos an. Vorausgeschickt sei zunächst die
philosophische Definition des Nichts: Es ist Abwesenheit allen Seins. Etwas,
von dem ich sagen kann, dass es ist und Eigenschaften hat, ist keinesfalls
nichts. „Nichts (nihilum) ist nicht etwas Eigens neben dem Sein, sondern
lediglich dessen Fehlen und Ausfall: deshalb wird auch sein Begriff durch die
Verneinung des Seins gebildet“ (Brugger). Der Gegensatz von Sein und Nichtsein
ist im grundlegenden „Satz vom Widerspruch“ als zentrales Prinzip der Logik
formuliert. Schon im Vorwort möchte Krauss diesen allgemeingültigen Begriff des
Nichts abwehren, denn er sei leer, quasi eine unsinnige Erfindung der
Philosophen und Theologen, die dafür keinerlei empirische Evidenz aufweisen
könnten. Hier spricht der in seinen Methoden gefangene Naturwissenschaftler,
der vergisst, dass er selber nicht anders kann als die Logik vorauszusetzen,
wenn er sein Handwerk ausübt oder auch nur den einfachsten Gedanken fasst. Franz
von Kutschera bringt es auf den Punkt: „Empirisch ist immer richtig, was
logisch und mathematisch richtig ist, und empirisch ist immer falsch, was
logisch und mathematisch falsch ist. Logische Argumente sind von universeller
Zuständigkeit.“
Krauss aber muss hier
den Hebel ansetzen, denn nur so kann er Raum schaffen für seine eigene
Definition des „Nichts“, die den Begriff so zurechtbiegt, dass er ihn
physikalisch überhaupt fassen kann, denn über das Nichts kann die Physik gar nichts
aussagen, ihr Gegenstand sind die Gesetzmäßigkeiten der physischen Welt. Also
erklärt er gegen jede Logik „Das Nichts ist etwas“ und bestimmt zunächst, über
„welche Art von ‚Nichts‘“ er sprechen will. Es ist der leere Raum, den er einfach
für das Nichts setzt, denn „in ihm befindet sich absolut nichts“. Allerdings
gesteht er zu, dass er damit den Raum und die „Gesetze der Physik“ als existierend
voraussetzen muss. „Nichts“ setzt er hier daher noch einschränkend in Anführungszeichen.
Im Laufe der weiteren Argumentation lässt er sie immer wieder stillschweigend
weg. Wenige Zeilen später wird dann auch klar, dass er gar nicht von einen
„absolut leeren“ Raum spricht, sondern von einem leeren Raum „mit einer Energie
ungleich null“, also vom Vakuum.
Wir haben somit etwas
eminent Existierendes vor uns: den energiegeladenen Raum, in dem die Gesetze der
Physik gelten. Krauss zeigt nun, wie nach den heutigen
kosmologisch-physikalischen Theorien bei der Expansion (kosmologischen Inflation)
dieses Raumes in der Frühzeit des Universums „die im leeren Raum gespeicherte
Energie mit dem Ende der Inflation in die Energie von realen Teilchen und in
Strahlung umgewandelt„ wird. Indem er von „Umwandeln“ spricht, wird klar, dass
hier etwas Seiendes aus einem bereits Existierenden hervorgeht. Es nützt auch
nichts, dass er diesen ursprünglichen energiegeladenen Raum, von dem er
ausgeht, zu einem „fast nichts“ erklärt, es bleibt doch Seiendes, wie seine
einschränkenden Formulierungen dem aufmerksamen Leser verraten: „Demnach kann
unser beobachtbares Universum als mikroskopisch kleine Raumregion beginnen, die
im Wesentlichen [!] leer ist.“ Ende des 9. Kapitels gesteht Krauss dann auch
zu, das es unredlich wäre „vorzuschlagen, dass der mit Energie versehene Raum,
der die Inflation [d.h. die Ausdehnung des Raumes bei der Entstehung des
Universums] antreibt, tatsächlich Nichts
ist“.
Damit aber gibt sich
Krauss nicht zufrieden. Dies sei nur der erste Schritt. Im Kapitel mit der paradoxen
Überschrift „Das Nichts ist instabil“, wobei er „Nichts“ jetzt wieder ohne
Anführungszeichen schreibt, will er in weit ausgreifender Spekulation die
Entstehung des Universums aus dem Nichts erklären, das er wieder mit dem leeren
Raum gleichsetzt, von dem wir ja schon durch seine eigenen Ausführungen gesehen
haben, dass er ganz und gar nicht leer ist.
Krauss zieht dafür nun die
Quantenfluktuation heran, auch Vakuumfluktuation genannt, mit der die
quantenfeldtheoretisch beschreibbare Energie in einem Vakuum bezeichnet wird.
In dieser Quantenfluktuation des Vakuums entstehen fortwährend Materie- und
Antimaterieteilchen, die sich gegenseitig auslöschen. Aus dem „brodelnden
Gebräu“ der Vakuumfluktuation, die er nun wieder Nichts nennt, könne unsere materielle
Welt entstanden sein. Wären allerdings Materie und Antimaterie im Gleichgewicht
geblieben, hätte nichts aus diesem fortwährenden Aufblitzen und wieder
Verlöschen der Fluktuation herausgeführt. Die Lösung ist für Krauss eine
winzige Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie die, „durch irgendeine zufällige Ausgangsbedingung [!] in Gang
gebracht“ worden sein könnte. Man ist an dieser Stelle versucht, Théophile Gautier
zu zitieren mit dem schönen Wort: „Zufall ist vielleicht das Pseudonym, Gottes,
wenn er nicht selbst unterschreiben will.“ Dieser „Zufall“ also habe
ermöglicht, dass ein Überschuss an Materieteilchen nicht durch Antimaterie
ausgelöscht wurde und so „den Charakter des sichtbaren Universums geprägt“ hat.
In diesem Sinne nennt er das von ihm zum Nichts erhobene Vakuum der
Quantenfluktuation instabil. Offenkundig aber hat ein solches instabiles Etwas eine
Eigenschaft und ist damit seiend, wie auch klar aus seiner wiederholten
Definition des „Nichts“, nun wieder in Anführungszeichen, als Vakuum
hervorgeht: „Gemäß der bislang von mir vorgestellten Definition handelt es sich
bei dem relevanten ‚Nichts‘, aus dem unser beobachtetes Etwas hervorgeht, um
das Vakuum des leeren Raumes.“
Und es ist wohl Krauss selbst
klar, dass er nur durch Zuschreibung zum Nichts deklarieren kann, was doch
eindeutig existiert, Raum einnimmt, energiegeladen ist und sich nach
Gesetzmäßigkeiten verhält. Also versucht es Krauss mit gewagter Spekulation auf
Basis der Theorie der Quantengravitation, die Quantenphysik und allgemeine
Relativitätstheorie zu einer Theorie verbinden soll, aber weithin noch bloßes
Forschungsprogramm ist. Er will damit zeigen, dass auch der Raum selbst
„spontan aus dem Nichts auftauchen“ könne. Wobei er rasch anfügt, dass das „Nichts“
hier als „Abwesenheit von Raum und Zeit zu verstehen ist“ und schreibt „Nichts“
wiederum in Anführungszeichen. Auch in der Singularität, dem Zustand vor dem
Urknall, kann die Raumzeit ja unendlich gekrümmt sein, sie bleibt aber doch sicher
ein Existierendes, das nicht aus sich selbst ist. Krauss erkennt das sehr wohl,
denn er muss resigniert feststellen: „Beweist das, dass unser Universum aus dem
Nichts entstanden ist? Natürlich nicht“.
Trotzdem setzt er zu einem
noch gewagteren Anlauf an, denn ein letztes Ärgernis, das für ihn auch bleiben
würde, wenn tatsächlich der Raum „spontan aus dem Nichts auftauchen“ könnte, sind
die Naturgesetze nach denen dies alles ablaufen würde, die Intelligibilität der
Welt als Hinweis auf ihren Ordner und Schöpfer, auf dem der Teleologische
Gottesbeweis aufbaut. Als Physiker, der sich mit nichts anderem beschäftigt als
der Ordnungshaftigkeit der Welt, kommt er daran nicht vorbei: „Alle Beispiele“,
heißt es bei Krauss, „die ich bislang geliefert habe, schließen tatsächlich
ein, dass etwas hervorgegangen ist aus dem, was man als Nichts zu bezeichnen
versucht ist [!], wohingegen die Regeln,
also die Gesetze der Physik vorgegeben sind. Woher kommen diese Regeln?“. Das
ist ihm ein wahrer Stachel im Fleisch seiner naturalistischen Selbstgewissheit,
den auszureißen er sich nun anschickt.
Er versucht dies mit der
Multiversumstheorie, also mit der Annahme, dass „unser Universum einer großen,
vielleicht sogar unendlichen Menge verschiedener und kausal voneinander
getrennter Universen angehört“. Krauss kann sich damit wieder auf den vom
Naturalismus gerne herangezogenen Zufall berufen, denn dann ist unser Universum
mit seinen das Leben ermöglichenden Naturkonstanten und physikalischen Gesetzen
nur ein möglicher Fall einer „Landschaft von Universen“. Nun hilft ihm das aber
wenig, es verschärft sogar seine Probleme, denn nun ist es die Entstehung eines
Multiversums, die zu erklären ist, und das Auftreten der Gesetzmäßigkeiten die
dieser Entstehung zugrunde liegen. Er steht also wieder am Anfang.
Der Schöpfergott, oder
philosophisch gesprochen ein erstes absolutes personales Prinzip, bleibt damit
die wesentlich bessere Erklärung. Nicht als „Gott der Lücken“, wie Krauss
polemisch schreibt, sondern als auch logisch
beste Lösung, von der universellen Intuition der Menschen und den religiösen
Offenbarungen abgesehen.
Deutlich fehlen Krauss
die Mittel, über seine Fachwissenschaft hinauszudenken, sich aus deren methodisch
sinnvoll begrenzenden Kategorien zu lösen. Naiv etwa ist seine Vorstellung,
Gott müsse ein bereits vorhandenes Potential vorfinden, aus dem er dann erst
schöpferisch wirken kann. Damit überträgt er das, was zweifellos für die
physische Welt gilt, auf Gott. Dass vom absoluten göttlichen Seienden nur
analog als Sein gesprochen werden kann und nicht univok wie im Sinne der
endlichen Welt, ist mit seinen auf die physische Welt beschränkten Kategorien
nicht erfassbar. Daher meint er: „Einfach nur zu argumentieren, Gott könne
bewirken, wozu die Natur nicht imstande ist, läuft darauf hinaus, dass übernatürliches Potential für die
Existenz sich irgendwie vom regulären natürlichen Potential für die Existenz
unterscheidet“. Ja, kann man da nur bestätigend sagen, und zwar nicht nur
„irgendwie“, sondern fundamental unterscheidet sich das Sein Gottes vom
endlichen Sein, denn er ist reine Aktualität, in ihm gibt es nichts, das nur
Möglichkeit ist. Tiefsinnig verstanden hat das bereits Albertus Magnus, der neben
seinem hohen philosophischen Rang als der erste Naturwissenschaftler im
modernen Sinne gilt: „Nichts kann aber keines Wirklichen Wurzel oder Grund sein.
Das nämlich, was nichts ist, hat keine Möglichkeit und keine Hinordnung [auf
das Sein], es sei denn gemäß dem Begriff und im Verhältnis des Nichtseienden
zum Seienden… Und daraus folgt, dass [der erste Anfang] Sein nur von sich
selbst hat und dass sein Sein nicht von einem anderen abhängt… Und daraus ist
offensichtlich, dass [der erste Anfang] im strengen Sinn erstes Prinzip ist, da
er selbst nicht auf etwas Vorausliegendes zurückgeführt wird und alles
hinsichtlich des Seins auf ihn selbst zurückgeführt wird“ (Liber de causis).
Angesichts des erwartbar
gescheiterten Versuchs von Krauss, physikalisch die Möglichkeit einer spontanen
Entstehung des Universums aus Nichts zu beweisen, nimmt es sich doch sehr
befremdlich aus, wenn Dawkins in seinem Nachwort das Buch als quasi finalen,
„vernichtenden“ Schlag für den Theismus bezeichnet. Das ist es sicher nicht,
auch wenn Krauss selbst durch sein subtiles Spiel aus gewagten Annahmen und
anschließenden Dementis zu einen solchen Fehldeutung beiträgt.
Angaben zum besprochenen Buch: Lawrence
M. Krauss: Ein Universum aus Nichts – und warum trotzdem etwas ist. Albrecht Knaus Verlag, München, 2013, 256 Seiten.
(Englische Ausgabe: A universe from nothing: why there is something rather than
nothing. New York, 2013).