(Eine Fassung des Textes ist erschienen in: Universitas 75, 2020)
Sprache ist immer in Gefahr, sich festzufahren in gängigen
Floskeln und modischen Formeln. Das war früher nicht anders als heute. Die
Marotten der steifen Kanzleisprachen und ihrer gestelzten Höflichkeitsfloskeln
etwa waren nicht besser als heutige Sprachkapriolen. Nur eine Sprache, die aus
ursprünglichem, ganzheitlichem Erleben gestaltet ist, kann über sich selbst
hinausweisen und zeitlos Gültiges aufscheinen lassen. Auf einige der Regeln,
die dabei zu beachten sind, insbesondere wenn man literarisch schreiben will,
macht diese kleine Schreibkunst aufmerksam.
Von Eintagsfliegen Sie mutieren
schnell und verbreiten sich in rasender Geschwindigkeit über die Welt der
Texte, die Eintagsfliegen der Sprache, entweder weil sie schick sind, da sie
von der gerade vorherrschenden Denkrichtung verwendet werden, wie der
Habermas’sche „Diskurs“, oder sie verbreiten sich wie eine Plage, weil das
herrlich vertraute Wortgeklingel – tausend mal gehört auf Tagungen, Konferenzen
oder in „Papers“ gelesen - das Gefühl gibt, dazu zu gehören. So schwirrt es
dann überall von „Kontextualisieren“, „Topos“, "Narrativ" und „Paradigma“, alles wird
plötzlich „verortet“, etwas wird „geschuldet“ und neuerdings macht man etwas „stark“,
wenn man gute Argumente dafür hat. Irgendwann klingt die Plage wie nach einem
Schweinezyklus ab, und andere Sprachmutanten verbreiten sich über das
wissenschaftliche Getexte, manchmal wie dicke, fette Schmeißfliegen, die einem
jeden Appetit nehmen, den Textbrei zu verkosten, in dem sie schwimmen – etwa
diesen: „Die erziehungswissenschaftlich orientierte Intersektionalitätsforschung
erweitert die Heterogenitätsdebatte. Sie lotet aus, welche Bedeutung das
multifaktorielle und komplexe Verhältnis der Kategorien Gender, Ethnizität und
elterlicher Bildungsstatus für die Qualität der Bildungsprozesse und damit
zusammenhängend auch für den Bildungserfolg hat. Über den gleichzeitigen und
nicht erst nachgeschalteten Einbezug mehrerer Differenzlinien soll aufgezeigt
werden, wie Bildungsprozesse von BildungsteilnehmerInnen mit heterogener
Gruppenzugehörigkeit spezifisch ablaufen.“ Über den Urheber sei hier
nachsichtiges Schweigen gebreitet. Die Gedanken rasseln hier wie in Ketten
gefangen, und die sperrige, sich gegen das freie Fließen des Gedankenstromes
versetzende Aneinanderreihung der künstlichen Substantive kommt daher wie ein
Aufzug hässlicher Monstren, dröhnend auf den tönernen Füßen des
Wissenschaftsanspruchs. Natürlich können schwierige Zusammenhänge, etwa die
Relativitätstheorie oder die aristotelische Metaphysik, auch durch eine klare
Sprache nicht einfacher gemacht werden, und wissenschaftliche Fachbegriffe sind
notwendig, aber ein Kokettieren mit künstlich verkomplizierten Formulierungen
hilft der Suche nach Wahrheit nicht weiter. Im deutschen Wissenschaftsbetrieb –
in den Geisteswissenschaften muss man genauer sagen – verneigt man sich leider
immer noch ehrfürchtig vor dem schwer Zugänglichen, während der klar und
verständlich geschriebene Text als leichtgewichtig gilt.
Standardmensch und Zeichensprache
Andere
scheinen die Sprache gewissermaßen bleichen zu wollen, indem sie ihr alles
Farbige des Lebens austreiben, sie verdünnen und präparieren zu einem
formalisierten System, in dem die Wörter und Sätze wie auf Nadeln aufgespießte
und unbeweglich aufgereihte Käfer sind, um sich möglichst der Zeichensprache
der Mathematik anzunähern. So wird dann zuletzt aus der Liebe die „Individuenrelation
Liebe“ wie in einer Einführung in die Ontologie: „Relationale Individueneigenschaften
setzen ontologisch Relationen voraus; z.B. setzt die relationale
Individueneigenschaft von Fritz geliebt zu werden, die Individuenrelation Liebe
voraus“, heißt es dort. Die Namenswahl „Fritz“ ist sicher nicht zufällig, denn
sie lässt uns an einen Standardmenschen denken, wie das Strichmännchen eines
Cartoons – mathematisch gesprochen nur ein Parameter, der nichts mehr hat von
einer lebendigen Person.
Inflationsgut und echtes Gold Ich wünsche Ihnen, dass Sie nicht gezwungen sind, solche
Texte zu produzieren, um sich ein Plätzchen im Wissenschaftsbetrieb oder auf
der universitären Karriereleiter zu ergattern.
Vielleicht wissen Sie sogar um das beglückende Erleben des literarisch
Schreibenden, wenn die Sprache langsam etwas herausformt und uns klarer
erfassen lässt von der quellende Fülle des Seins. Dann leuchtet etwas auf von
den geistigen Gestaltungen die es durchformen und auf eine höhere Wirklichkeit
verweisen. Um sie zu erreichen, muss sich die Sprache geschmeidig anpassen und
das Allgemeine und Einzelne zugleich in ihre Sprachbildungen einbeziehen. Die
wissenschaftliche Abstraktion hat keinen Zugang zur lebendigen Vielfalt des
Einzelnen (wiewohl sie natürlich ihren Sinn und Zweck hat), und ein
Kunstverständnis, das nach Henri Bergson „immer auf das Individuelle abzielt“
(Bergson 1972, 110) schneidet sich den Zugang ab zum ideenhaften Urgrund, der
sich im Einzelnen verwirklicht. Aber: „Wendet sich der schauend nachzeichnende,
empfängliche Verstand im Lichte des allgemein begriffenen Wesens auf die
konkrete Einzelung des wirklichen Dinges zurück, so erreicht er die
ganzheitlich ideenhafte Schau der wirklichen Gestalt“ (Berning 469). Vor allem
die einfachen und in der Regel alten, gewachsenen Wörter, in denen die Kraft
des Lebens und der gelebten Erfahrung aufgespeichert ist, eignen sich dafür,
die in dieser ganzheitlichen Schau gewonnenen Erkenntnisse mitzuteilen. Hermann
Hesse hat auf diese Erfahrung seines Dichterlebens in einem Essay mit dem Titel
„Das Wort ‚Brot’“ hingewiesen: "Was unseren Sprachen in den letzten zwei
Jahrhunderten an neuen Vokabeln zugewachsen ist, ist an Zahl ungeheuer und
staunenswert, aber an Gewicht und Ausdruckskraft, an sprachlicher Substanz, an
Schönheit und echtem Gold ist es jämmerlich arm. Es ist zum größten Teil
Inflationsgut." Die alten, gewachsenen Wörter haben die Kraft zu
„beschwören“, während die konstruierten und für den flüchtigen Tagesbedarf
gemachten nur „bezeichnen“. Als Beispiel für eines der kraftvollen, mit Leben
und Seele erfüllten alten Wörter nennt er das Wort Brot: „Man braucht es nur
auszusprechen und das in sich einzulassen, was es enthält, so sind schon alle
unsere Lebenskräfte, die des Leibes wie die der Seele angerufen und in
Tätigkeit versetzt. Magen, Gaumen, Nase, Zunge, Zähne, Hände sprechen mit.“
Von Worthülsen Sprache kann
nicht im stillen Kämmerlein reifen, sich entfalten. Wünschen Sie sich nicht die
einsame Dachstubenexistenz eines Spitzweg’schen Poeten. Sprache wächst im
Kontakt mit der Welt und dem Leben, je reicher der Kontakt ist um so reicher
wird die Sprache. Auch das Schreiben von Gebrauchstexten ist nützlich – ihre
Brief im Büro, Bestellungen, Produktbeschreibungen, Verhandlungen mit Kunden,
selbst Bedienungsanleitungen – alles ist bunte Sprachwelt, liefert Bilder und
Vergleiche. Hören Sie ihren Handwerkern zu. „Aufmaß nehmen“
ist beispielsweise ein schöner alter Ausdruck aus der Handwerkersprache. Machen
Sie sich die Wörter zu eigen und verbinden Sie ihre Bedeutung mit Ihrem
Erleben. Leben Sie nicht aus zweiter Hand. Auch alte, kraftvolle Wörter wie
„Bindung“, „Sinn“, „Begegnung und „Geborgenheit“ können zu leeren Worthülsen
werden, wenn Sie nur angelesen sind und nachgeplappert werden in der Hoffnung,
dass etwas von dem Glanz der Denkrichtung aus der sie genommen sind, auf die
eigenen Texte abstrahlt – sie sind dann nichts als Mimikry, wie die
Schwebfliege mit ihrem gelbgestreiften Leib nur vortäuscht, sie sei eine Wespe,
um beim Fliegenbild zu bleiben. Wenn alte, kraftvolle Wörter losgerissen werden
von ihrem gedanklichen Fundament, können tatsächlich auch Wörter wie
„Begegnung“, über die Adorno seinen Spott ausgegossen hat, zu leeren und
lächerlichen Worthülsen werden. Bis hierhin kann man Adorno recht geben, auch
wenn er mit seiner Schrift „Jargon der Eigentlichkeit“ weder Heidegger noch
Jaspers und erst recht nicht Martin Buber gerecht geworden ist. Gehen Sie also
immer und am besten wiederholt mit der Fliegenklatsche durch Ihre Texte. Alles,
was zu glatt und vertraut klingt ist verdächtig. Es könnte eine dieser
hässlichen Eintags-, Schmeiß- oder Schwebfliegen sein, angelockt von der
Bequemlichkeit des einfach aus der Konserve Greifbaren.
Statik und Bewegung
Gute Wörter
allein machen noch keine guten Texte. Es ist wichtig, die Dinge nicht nur zu
sagen, sondern auch zu zeigen, damit sie vor dem geistigen Auge des Lesers als
lebendige Bilder entstehen. Schreiben Sie nicht, dass eine Gegend „dicht
besiedelt“ ist, das ist die technische Sprache des Landschaftsplaners, hier
wird nichts gefühlt und nichts gesehen. Beschreiben Sie, wie sich die
Verkehrsadern verschlingen, wie sich die Ortschaften aneinander drängen und wie
das verbliebene Grün der aufgeräumten Grünanlagen im Schatten der Mietskasernen
verkümmert. Setzen Sie vor allem die Dinge in Bewegung. Alles Statische bleibt
blass und unanschaulich. Es ist nichtssagend, wenn Sie schreiben, „Die Häuser
stehen dicht an der Straße“, nein, „Sie drängen sich an die Straße“.
Vergleichen Sie den Ausdruck „Die Dächer ragen weit über die Hauswände hinaus“
mit „Die Häuser ziehen ihre Dächer gegen das raue Klima tief herunter“. Sehen Sie zum Beispiel im folgenden Zitat
aus den Essays von Albert Camus über seine algerische Heimat, wie er ein ganzes
Gebirge in Bewegung setzt: „Kaum kann ich am Rande der Landschaft die schwarze
Masse des Chenoua-Gebirges erkennen, das sich aus den dorfumschließenden Hügeln
erhebt und in ruhig gewichtigem Rhythmus vorrückt, um sich im Meer
niederzulassen“ (Camus 1994, 9).
Mit allen Sinnen
Anders als ein
Film kann ein Text die Fülle der vieldimensionalen Erfahrung dem Nacherleben
des Lesers zugänglich machen. Ein Felsen etwa kann grau und kahl aus der Erde
hervorbrechen, aber er riecht auch moderig nach dem Laub, das sich in seinen
schrundigen Spalten sammelt; kühl und feucht fühlt er sich an, hart und stumpf
klingen die Tritte des Kletterers, der ihn hinaufsteigt. Erproben Sie am
folgenden Zitat aus Ernst Jüngers Buch „Auf den Marmorklippen“, wie der Text
Ihre Sinne anspricht: „Wenn dann das Rebholzfeuer im Kamine flammte, setzten
wir nach altem Brauche, den wir uns in Britannien angeeignet hatten, die
Duftamphoren auf. Wir pflegten dazu die Blütenblätter einzusammeln, wie sie die
Jahreszeiten brachten, und pressten sie, nachdem wir sie getrocknet hatten, in
weite bauchige Gefäße ein. Wenn wir zur Winterszeit die Deckel von den Krügen
hoben, dann war der bunte Flor längst abgeblasst und in den Farben vergilbter
Seide und fahlen Purpurstoffs dahingewelkt. Doch kräuselte aus diesem
Blütengrummet gleich der Erinnerung an Resedenbeete und Rosengärten ein matter,
wundersamer Duft empor“ (Jünger 1979, 69f). Und suchen Sie nicht nach besonders
gedrechselten Formulierungen. Wie bei der bildenden Kunst entsteht der
Gesamteindruck durch das Maßvolle der großen Linien, nicht durch hinzugefügten
Schnörkel, der leicht überladen wirkt. Bei einem Text also muss vor allem der
Sprachfluss stimmen,
kraftvolle, bildhafte Wörter müssen sich einfügen in den harmonischen Rhythmus
der Sätze und Absätze.
Schreiben und leben, leben und schreiben
Verkrampfen
und verknäulen Sie sich nicht in liebgewonnenen Text. Wenn Sie das Gefühl
haben, nicht weiter zu kommen, lassen sie ihn eine Weile liegen, bis sie
Abstand davon gewonnen haben, und ihn wieder wie einen fremden Text ansehen,
dann löst sich alles wie von selbst. Es ist nicht schlimm, wenn der Wecker
klingelt, und Sie zur Arbeit müssen. Danach ist der Geist dann wieder frisch
und offen für einen Neuansatz. Viele große Autoren haben neben ihren
umfangreichen praktischen Aufgaben gewaltige Werke geschaffen. Augustinus war
unendlich verstrickt in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit
und in Anspruch genommen durch seine Aufgaben als Bischof; Nikolaus von Kues war
als Kirchenrechter ständig in kirchlicher Mission unterwegs; Johann Georg
Hamann schrieb neben seinen Aufgaben als Lagerhausverwalter; Adalbert Stifter
musste sich lange als Hauslehrer durchschlagen; Hans Carossa schrieb als
praktizierender Arzt – um nur einige Beispiel zu nennen. Wir sind heute in
einer ungleich besseren Lage als sie. Wunderbar etwa lässt sich unterwegs auf
einer Dienstreise im ICE mit dem Notebook arbeiten. Lassen Sie dabei niemals nach, Sie müssen mit Ihrem Text leben, sich intensiv hineinleben, hineinmeditieren in
das, über das Sie schreiben. Nur durch diese unerbittlich nachhaltige
Anstrengung erreichen Sie das Innere Ihres Gegenstandes und können es angemessen
darstellen. Bergson hat dies richtig erkannt, auch wenn seine Auffassung der
künstlerischen Intuition einseitig ist: „Wer immer sich z.B. an literarischer
Produktion versucht hat, weiß wohl, dass man, wenn der Gegenstand lange
studiert worden ist, wenn alle Dokumente gesammelt, alle Aufzeichnungen gemacht
sind, eines Mehr bedarf, einer oft sehr schmerzhaften Anstrengung, um sich
plötzlich in das Herz des Gegenstandes zu versetzen und um so tief wie möglich sich einen Antrieb zu holen, dem
gegenüber man nachher nichts mehr zu tun hat, als sich gehen zu lassen“
(Bergson 1920, 56).
Honig für die ewigen Waben Ein mit mir befreundeter Philosoph schieb letztens: „Bücherschreiben ist nicht das
Wichtigste im Leben“. Das ist zweifellos richtig, aber es ist auch richtig,
dass Schreiben eine Form der Lebenssteigerung und Lebensbewältigung sein kann.
Mystiker wie Hildegard von Bingen und Mechthild von Magdeburg etwa hat der
„Schreibauftrag“, den sie in ihren Visionen empfingen, zu einer inneren
Befreiung geführt. Ist das Schreiben von innen her gelebt und wahrhaftig, kann
es Wahrheit erfassen und mitteilen. Es kann auch Verhärtungen und Verengungen
aufsprengen, in denen wir scheinbar aussichtslos gefangen sind. Camus etwa hat
in der literarischen Verarbeitung der in seiner algerischen Heimat gewonnenen
Eindrücke sichtlich Abstand gewinnen können von der Sinnlosigkeit und dem
Absurden, das seine Texte sonst beherrscht: „Im schwärzesten Nihilismus unserer
Zeit suche ich nur Gründe, ihn zu überwinden. Übrigens nicht aus Tugend, noch
aus einer seltenen Seelengröße heraus, sondern aus instinktiver Treue zu jenem
Licht, in dem ich geboren wurde und in welchem seit Jahrtausenden die Menschen
gelernt haben das Leben zu bejahen bis in die Leiden hinein“ (Camus 93). Auch
wer nur für sich schreibt, etwa wenn er Tagebuch führt, trägt Honig herbei „für
die ewigen Waben“ (Jünger o.J., 120), denn in der Welt des Geistes geht nichts
verloren.
Literatur: Adorno, Th.: Jargon der Eigentlichkeit. In: Ges.
Schriften. Bd. 6, Frankfurt a.M., 1973.
Bergson, H.: Einführung in die
Metaphysik. Jena, 1920.
Bergson, H,: Das Lachen. Zürich,
1972.
Berning, V.: Die Idee der Person
in der Philosophie. Paderborn, 2007.
Camus, A.: Hochzeit des Lichts.
Heimkehr nach Tipasa. München, 1994.
Hesse, H.: Das Wort ‚Brot’. 1980
(der Text steht auf der Internet-Site: www.hermann-hesse.de
zur Verfügung. Dort kann auch eine Lesung des Textes von Hermann Hesse selbst
als Tondokument abgerufen werden).
Jünger, E.: Heliopolis.
Stuttgart, o.J.
Jünger, E.: Auf den
Marmorklippen. Stuttgart, 1979.